Was bedeutet Verjährung im Sinne der §§ 78 ff. StGB?

Um Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu gewährleisten, insbesondere aber auch, um Druck auf die Ermittlungsbehörden auszuüben, Ermittlungsverfahren und Strafverfahren nach einer Strafanzeige zügig voranzutreiben und nicht zulasten der Beschuldigten zu verschleppen, unterliegen die Straftatbestände des StGB der Verjährung. Das heißt, dass nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes begangene Straftaten nicht mehr verfolgt werden können, hierbei handelt es sich um die so genannte Verfolgungsverjährung gemäß § 78 StGB, oder ausgesprochene Strafen nicht mehr vollstreckt werden können. Dies ist die so genannte Vollstreckungsverjährung gemäß § 79 StGB.

Grundsätzlich unterliegen alle Straftatbestände des Strafgesetzbuches der Verjährung. Ausgenommen hiervon ist gemäß § 78 Abs. 2 StGB lediglich der Mord gemäß § 211 StGB.

Rechtsanwalt Dietrich beantwortet Ihnen zur Verjährung nachfolgend insbesondere:

Was bedeutet Verfolgungsverjährung?

Die Verfolgungsverjährung gemäß § 78 Abs. 1 StGB bedeutet, dass man nach Ablauf der jeweiligen Verjährungsfrist, die je nach der Schwere des Delikts der Länge nach variiert, nicht mehr für eine Straftat strafrechtlich verfolgt und bestraft werden kann, selbst wenn die Staatsanwaltschaft eindeutig beweisen kann, dass man die vorgeworfene Straftat begangen hat. Die Staatsanwaltschaft ist daher gesetzlich verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzustellen, wenn die vorgeworfene Straftat verjährt ist.

Was bedeutet Vollstreckungsverjährung?

Die Vollstreckungsverjährung gemäß § 79 Abs. 1 StGB bedeutet, dass eine Freiheitsstrafe oder eine
Geldstrafe, aber auch Maßnahmen wie die Einziehung eines Führerscheins, nicht mehr durchgesetzt
werden darf. Ist man also beispielsweise zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, muss man nach
Ablauf der Vollstreckungsverjährungsfrist nicht mehr in Haft. Ist man zu einer Geldstrafe verurteilt
worden, muss man diese nach Ablauf der Vollstreckungsverjährungsfrist nicht mehr zahlen.

Wann ist die Verfolgbarkeit einer Straftat verjährt?

Die Länge der Verfolgungsverjährungsfrist ist in § 78 Abs. 3 StGB geregelt. Diese richtet sich nach der Schwere der Straftat und der damit verbundenen Strafandrohung. Hierbei ist aber insbesondere zu beachten, dass sich die Verjährungsfrist ohne Rücksicht auf Strafmilderung oder Strafverschärfungen für besonders schwere Fälle oder minder schwere Fälle berechnet.

So verjähren Straftaten, für die das Strafgesetzbuch eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht, nach 30 Jahren. Hierzu zählt beispielsweise die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge gemäß § 178 StGB oder die Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 251 StGB.

Straftaten, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mehr als 10 Jahren bedroht sind, verjähren nach 20 Jahren. Dies wäre beispielsweise bei Totschlag gemäß § 212 StGB, der sexuellen Nötigung gemäß § 177 StGB, dem Meineid gemäß § 154 StGB oder bei Raub gemäß § 249 StGB der Fall. Auch die meisten Verstöße gegen das BtMG unterfallen einer Verjährungsfrist von 20 Jahren. Zu den Verstößen nach BtMG zählen 29a StGB (Abgabe von Drogen an Minderjährige und der Besitz von Drogen in nicht geringer Menge), § 30 BtMG (z.B. gewerbsmäßiger oder bandenmäßiger Umgang mit Drogen; Einfuhr von Drogen in nicht geringer Menge) und § 30a BtMG (z.B. bandenmäßiger Umgang mit Drogen in nicht geringer Menge, Handeltreiben mit Drogen in nicht geringer Menge unter Beisichführen einer Schusswaffe)

Die Verjährungsfrist für Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als 5 Jahren und bis zu 10 Jahren bedroht sind, beträgt 10 Jahre. Hierunter fallen beispielsweise die gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB, die schwere Körperverletzung gemäß § 226 StGB oder der sexuelle Missbrauch von Kindern gemäß § 176 StGB.

Ist eine Straftat im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu 5 Jahren bedroht, beträgt die Verjährungsfrist 5 Jahre. Hierunter fallen beispielsweise die Freiheitsberaubung gemäß 239 StGB, die Nötigung gemäß § 240 StGB, der Betrug gemäß § 263 StGB, der Diebstahl gemäß § 242 StGB, die Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB, die einfache Körperverletzung gemäß § 223 StGB, die Untreue gem. § 266 StGB, die Unterschlagung gem. § 246 StGB und der Besitz oder das Verbreiten kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b StGB.

Im Verkehrsrecht unterfallen z.B. die Unfallflucht oder Fahrerflucht gemäß § 142 StGB, der gefährliche Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB und die Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c StGB der fünfjährigen Verjährungsfrist.

Der Besitz von Betäubungsmitteln oder das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gem. § 29 BtMG unterfällt der fünfjährigen Verjährungsfrist.

Alle anderen Straftaten wie beispielsweise die fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229 StGB, die Beleidigung nach § 185 StGB oder die Trunkenheitsfahrt gemäß § 316 StGB verjähren nach 3 Jahren

Wann beginnt die Verfolgungsverjährungsfrist zu laufen?

In § 78a StGB ist geregelt, dass die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, sobald die Straftat beendet ist, das heißt, wenn die Straftat vollständig abgeschlossen beziehungsweise ihr Erfolg eingetreten ist. Daher beginnt beispielsweise die Verjährung beim Betrug erst dann, wenn auch der letzte Vermögensvorteil aus der Betrugshandlung erlangt worden ist.

Dies ist insbesondere bei so genannten Dauerdelikten wie beispielsweise der Freiheitsberaubung gemäß § 239 StGB von Bedeutung. Der Tatbestand der Freiheitsberaubung ist bereits erfüllt, wenn man einen anderen Menschen widerrechtlich gegen dessen Willen einsperrt. Die Freiheitsberaubung ist aber erst dann beendet, wenn die eingesperrte Person wieder frei ist, so dass erst von diesem Zeitpunkt an die Verjährung zu laufen beginnt

Weitere Dauerdelikte sind z.B. der Verstoß gegen das Waffengesetz und der Besitz von Drogen. Solange man die Waffe oder die Drogen besitzt, fängt die Verjährung nicht an zu laufen. Das gilt auch beim Besitz kinderpornografischer Schriften gem. § 184b StGB. Die Verfolgungsverjährung beginnt erst, sobald der Besitz an den kinderpornografischen Schriften gem. § 184b StGB aufgegeben worden ist.

Wann ruht die Verfolgungsverjährung?

§ 78b StGB regelt einzelne Fälle, wann die Verjährung ruht, das heißt, wann die Verjährungsfrist nicht mit Beendigung der Tat zu laufen beginnt.

Der in der Praxis wohl wichtigste Fall ist, dass die Verjährung bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung Minderjähriger erst dann zu laufen beginnt, wenn das minderjähriger Opfer die Volljährigkeit erreicht hat, also seinen 18. Geburtstag hatte.

Kann die Verfolgungsverjährungsfrist verlängert werden?

Ja. Gemäß § 78c StGB wird die Verjährung durch strafprozessuale Handlungen der Ermittlungsbehörden oder des Strafgerichts unterbrochen. Der Sinn hierfür ist, dass eine Straftat nicht während eines laufenden Verfahrens aufgrund eines Zeitablaufs verjähren soll. So wird die Verjährung beispielsweise durch die Vernehmung des Beschuldigten, durch richterliche Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen, durch den Erlass eines Haftbefehls, die Eröffnung des Hauptverfahrens oder die Anberaumung einer Hauptverhandlung unterbrochen.

Ist die Verjährung einmal unterbrochen, beginnt die Verjährungsfrist von neuem zu laufen. Grundsätzlich kann die Verjährungsfrist beliebig häufig unterbrochen werden und immer wieder aufs Neue zu laufen beginnen. Um aber den grundsätzlichen Sinn der Verjährung nicht auszuhöhlen, ist der Verlängerung der Verjährung aufgrund der Unterbrechung der Verjährungsfrist eine absolute Grenze in § 78c Abs. 3 StGB gesetzt. Demnach ist eine Straftat auch bei Unterbrechungen der Verjährungsfrist endgültig verjährt, wenn die doppelte Zeitdauer der gesetzlich festgelegten Verjährungsfrist abgelaufen ist.

Ein Beispiel hierfür wäre, dass ein Betrug gemäß § 263 StGB, für den das Gesetz eine Verjährungsfrist von 5 Jahren vorsieht, auch bei Unterbrechung der Verjährungsfrist spätestens nach Ablauf von 10 Jahren endgültig verjährt ist.

Hieraus wird deutlich, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, ohne Einsicht in die Ermittlungsakte das konkrete Ende der Verjährungsfrist Tag genau zu bestimmen. Auch kann aufgrund der Unterbrechungsregeln keine einheitliche Tabelle angewendet werden. Im Zweifelsfall muss man von der absoluten Verjährungsfrist ausgehen.

Wann ist die Vollstreckbarkeit einer Strafe verjährt?

§ 79 StGB regelt die so genannte Vollstreckungsverjährung. Die Länge der Vollstreckungsverjährung richtet sich nach der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe oder Geldstrafe.

Die Vollstreckbarkeit lebenslanger Freiheitsstrafen verjährt nicht. Wurde man zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 10 Jahren verurteilt, so ist diese Freiheitstrafe nach Ablauf von 25 Jahren nicht mehr vollstreckbar. Die Vollstreckungsverjährungsfrist beträgt 20 Jahre, wenn man zu einer Freiheitsstrafe von mehr als 5 Jahren bis maximal 10 Jahren verurteilt wurde. Bei einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 5 Jahren beträgt die Vollstreckungsverjährungsfrist 10 Jahre und 5 Jahre bei einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder einer Geldstrafe von mehr als 30 Tagessätzen. Eine Geldstrafe bis zu 30 Tagessätzen kann bereits nach Ablauf von 3 Jahren nicht mehr vollstreckt werden.

Wann beginnt die Vollstreckungsverjährungsfrist zu laufen?

Gemäß § 79 Abs. 6 StGB beginnt die Verjährung mit der Rechtskraft des Urteils oder des Strafbefehls zu laufen.

Rechtskräftig ist ein Urteil dann, wenn die Rechtsmittel der Berufung und der Revision ausgeschöpft sind oder man darauf verzichtet, gegen ein ergangenes Urteil binnen einer Woche das Rechtsmittel der Berufung oder Revision einzulegen.

Wann ruht die Vollstreckungsverjährung?

Gemäß § 79a StGB ruht die Vollstreckungsverjährung, solange mit der Vollstreckung der Strafe aus gesetzlichen Gründen nicht begonnen werden kann oder wenn dem Verurteilten hinsichtlich der Vollstreckung der Strafe Erleichterungen bewilligt werden.

Gesetzliche Gründe, aus denen mit der Vollstreckung einer Strafe nicht begonnen werden kann, sind beispielsweise die Immunität eines Abgeordneten oder wenn dem Verurteilten aus gesundheitlichen Gründen bei Vollstreckung einer Haftstrafe Lebensgefahr droht.

Beispiele für Erleichterungen im Sinne des § 79a StGB sind, dass die Vollstreckung einer Haftstrafe aus gesundheitlichen Gründen zunächst aufgeschoben wird oder eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Des Weiteren ruht die Vollstreckungsverjährung, wenn jemand zu einer Geldstrafe verurteilt wurde und das Gericht eine Zahlungsfrist oder eine Ratenzahlung bewilligt, da der Verurteilte aus wirtschaftlichen Gründen zu einer sofortigen vollständigen Zahlung der Geldstrafe nicht in der Lage ist.

Kann die Vollstreckungsverjährung verlängert werden?

Entzieht sich ein Verurteilter der Vollstreckung der Strafe, indem er sich in ein Land absetzt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland kein Auslieferungsabkommen unterhält, kann die Vollstreckungsverjährung auf Antrag der Staatsanwaltschaft um maximal die Hälfte der gesetzlichen Vollstreckungsverjährungsfrist verlängert werden.

Ist jemand also beispielsweise zu einer Freiheitstrafe von 4 Jahren verurteilt worden, beträgt die gesetzliche Verjährungsfrist 10 Jahren. Sie kann also auf maximal 15 Jahre verlängert werden.